Quacksalber und Beutelschneider
Das Unwesen der Psycho-Heilpraktiker in Deutschland
Von Colin Goldner
Nur die wenigsten Praktiker, die auf dem Psychomarkt ihre Dienste anbieten, sind rechtlich dazu befugt. Von Befähigung ganz zu schweigen.
Heilpraktiker und heilpraktische Psychotherapeuten verfügen zwar über eine formale Berechtigung, die von ihnen absolvierten „Ausbildungen“ und „Trainings“ allerdings sprechen den Erfordernissen einer seriösen Tätigkeit Hohn.
Da sie die akademischen Zulassungsvoraussetzungen für eine ernstzunehmende Therapieausbildung in der Regel nicht erfüllen, können sie solche auch nicht durchlaufen. Sie können sich ihre Kenntnisse – bestenfalls – über eine der meist äußerst fragwürdigen „Ausbildungsgänge“ an den staatlich weder überprüften noch anerkannten Heilpraktikerschulen oder über irgendwelche „Kurse“ auf dem freien Psychomarkt erwerben.
In hunderten von Einrichtungen quer durch die Republik finden sich Fernlehrgänge, Tagesseminare, Wochenendkurse jedweder Sorte, abgeschlossen meist mit prunkvollen Zertifikaten und Urkunden sowie der Verleihung beeindruckender Berufsbezeichnungen wie Diplom-Lebensberater, Beratender Schriftpsychologe, Zertifizierter Reinkarnationsanalytiker und dergleichen mehr.
Es gibt Kurse, die innerhalb eines einzigen Wochenendes in einem kompletten therapeutischen Verfahren zu qualifizieren vorgeben. Und selbst die „seriöseste“ Heilpraktikerschule schrumpft ins Lächerliche, gemessen an den Anforderungen für eine ernstzunehmende Qualifikation.
Die bundesweit größte Einrichtung ihrer Art bietet eine Komplettausbildung zum Psychotherapeuten – Vorbildung nicht erforderlich – in 332 Stunden an. 115 Stunden fallen auf die Vermittlung „psychologischer Grundkenntnisse“, weitere 115 Stunden auf „Theorie und Praxis“ von nicht weniger als zwanzig grundverschiedenen Therapieverfahren: Psychoanalyse, Individualpsychologie, Psychodrama, Transaktionsanalyse, Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie, Logotherapie, Gestalttherapie, Kommunikationstherapie, Familientherapie, Bioenergetik, Körperorientierte Therapie, Integrative Therapie usw.
Zumal auch noch die Behandlung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit, von Sexualstörungen, Suizidalität etc.pp hinzukommen, entfallen auf jedes der Therapieverfahren bestenfalls vier bis fünf Unterrichtsstunden: nicht viel mehr als ein schlechter Witz, hält man sich vor Augen, dass eine seriöse Ausbildung in nur einem der angeführten Verfahren ein abgeschlossenes Fachstudium voraussetzt und sich mit mehr als 1.300 Stunden über drei bis fünf Jahre erstreckt.
Heilpraktikerprüfung
Angehende Heilpraktiker müssen bei ihrer Überprüfung durch die Gesundheitsbehörde keinerlei heilkundliche Ausbildung nachweisen. Die Überprüfung, von Bundesland zu Bundesland, von Behörde zu Behörde unterschiedlich gehandhabt, sieht laut Heilpraktikergesetz von 1939 lediglich die Festellung vor, ob die antragstellende Person eine „Gefahr für die Volksgesundheit“ bedeuten könne, ob also der angehende Heilpraktiker weiß, was er als solcher nicht darf: Ausübung von Gynäkologie und Zahnheilkunde, Behandlung von Infektionskrankheiten, Behandlung im Umherziehen u.a.
Eine inhaltliche Überprüfung findet, wenngleich der Fragenkatalog sich aufgrund verschiedener Durchführungsverordnungen in den zurückliegenden Jahren etwas verschärft hat, nur in sehr oberflächlicher Weise statt.
Im schriftlichen Teil wird eine Liste an Fragen zu Berufs- und Gesetzeskunde sowie zu medizinischen „Grundkenntnissen“ abgehakt – überwiegend in multiple-choice -, 75% davon müssen richtig beantwortet werden.
Es folgt ein 20-Minuten-Gespräch mit dem Amtsarzt. Eine praktische Prüfung gibt es nicht. Voraussetzungen zur Teilnahme gibt es nach § 2 Abs.1 HeilprG keine:
Es reicht, deutscher bzw. EU-Staatsbürger, über 25 Jahre alt und Hauptschulabsolvent zu sein.
Noch mal: Heilkundliche Ausbildung wird nicht vorausgesetzt. Die „Überprüfung“ als Verwaltungsakt kann im Falle des Nichtbestehens endlos wiederholt werden, so dass irgendwann selbst der Ahnungsloseste durchkommt.
Im Bestehensfalle ist der Heilpraktiker berechtigt, sich mit nahezu jeder Methodik in nahezu jedem medizinischen Bereich zu schaffen zu machen; gleichwohl er keinerlei einschlägige Qualifikation nachweisen muss, ist er insbesondere befugt, ohne jede Einschränkung psychotherapeutisch tätig zu sein.
Um es zu wiederholen:
Die überwiegende Mehrzahl der Praktiker ist nicht nur gänzlich unqualifiziert zur Ausübung von Psychotherapie, sie besitzt noch nicht einmal die rechtliche Formalerlaubnis dazu. Die Chuzpe der Szene ist unerhört:
Mit völlig unbrauchbaren, teils auch hochgefährlichen Methoden macht man sich an Menschen zu schaffen, die vertrauensvoll um Rat und Hilfe nachsuchen und scheut sich nicht, ohne die geringste Fachkenntnis auch an schwersten psychischen und psychosomatischen Problemen herumzudilettieren.
Erst unlängst starb ein 10jähriges Mädchen, das der „Therapeut“ zur Behebung irgendwelcher „Verhaltensstörungen“ den Adoptiveltern gegenüber in dunkle Laken eingewickelt hatte; diese sollten den beengenden Uterus der leiblichen Mutter symbolisieren, aus dem die kleine Patientin sich „herauskämpfen“ sollte; zur Verschärfung wurde ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Das Mädchen fiel in ein Koma, aus dem es nicht mehr erwachte.
Eine Heerschar selbsternannter Heiler – ob nun mit oder ohne Formalbefugnis – maßt sich an, Psychotherapie zu betreiben, im Einzelfalle ohne auch nur eine einzige Stunde ernstzunehmender Ausbildung hierzu absolviert zu haben. Vielfach finden sich unter diesen Heilern Figuren, die, selbst dem Laien erkennbar, persönliche Störungen dadurch zu kompensieren suchen, dass sie sich zu „Therapeuten“ und „Lebenslehrern“ aufspielen.
Die vermeintlich paranormalen Fähigkeiten, derer sich viele dieser Heiler rühmen – Auralesen, Channeling, Hellsehen und dergleichen -, sind, sofern sie diese nicht einfach vorgeben und damit ihre Klientel betrügen, als Symptome zumindest latenten psychotischen Wahngeschehens zu werten: die Behandler bedürften dringlichst selbst der
Behandlung;
das gleiche gilt für all die Wunderheiler und Handaufleger, die sich mit „höheren Energien“ oder „höherem Bewusstsein“ ausgestattet wähnen.
Neben teils hochgradig Gestörten treiben auch zynische Geschäftemacher ihr Unwesen, die die seelische Not ihrer Kundschaft, auch deren Gutgläubigkeit, Unaufgeklärtheit und damit Wehrlosigkeit, gnadenlos ausbeuten.
Viele Klientinnen des Psychomarktes erhalten nicht nur nicht die erwünschte Hilfe, sondern werden bis aufs Hemd abgezockt; ganz abgesehen davon, dass sich die Probleme, deretwegen sie sich um Hilfe bemüht hatten, allein durch den massiven Vertrauensbruch erheblich verschärfen können.
Oftmals finden sich unter den „Heilern“ auch ehemalige Opfer, die an sich selbst erfahren haben, wie leicht es ist, andere mit ein wenig Psychogeschwätz übers Ohr zu hauen.
Anstatt sich gegen die Scharlatane zur Wehr zu setzen, werden sie selbst welche. Das graue Psychogeschäft übt ungeheuere Anziehung aus auf „halbseidene“ Figuren jedweder Provenienz, die sich ohne großen Aufwand – vor allem ohne Studium und Berufsausbildung – eine lukrative Erwerbsquelle zu eröffnen suchen.
Vielfach, zumal die Grenzlinien fließend verlaufen, ist nicht auf Anhieb erkenntlich, welcher Kategorie der einzelne Praktiker zugehört, ob er eher ein Fall für den Staatsanwalt ist oder für die Psychiatrie.
Das Risiko ist enorm, innerhalb der Psychoszene an einen inkompetenten Therapeuten und/oder eine unsinnige oder auch gefährliche Methodik zu geraten. Was also ist zu tun?
Grundsätzlich ist von Verfahren abzuraten, die sich bislang einer seriösen Wirksamkeitsüberprüfung entzogen haben beziehungsweise keinen ausreichen- den Wirksamkeitsnachweis vorlegen können.
Abzuraten ist ferner von Anbietern, die über keine ausreichende Qualifikation verfügen. Hierunter fallen sämtliche Praktiker, die nicht über ein abgeschlossenes akademisches Fachstudium – Medizin, Psychologie, ggf. Pädagogik oder Sozialpädagogik – mit anschließender klinisch-therapeutischer Fachausbildung verfügen.
Ein nach dem neuen Psychotherapeutengesetz zugelassener Therapeut kann ein abgeschlossenes Psychologiestudium und eine zumindest dreijährige postgraduale Ausbildung in einer anerkannten Einrichtung vorweisen. Ausreichende Qualifikation des Therapeuten und Wirksamkeitsnachweis des eingesetzten Verfahrens geben zwar keine Garantie für ein Gelingen der Therapie, aber das Risiko seitens des Rat- und Hilfesuchenden ist erheblich verringert. ***
Dieser Beitrag erschien, leicht gekürzt, unter dem Titel „Autodidakten und Beutelschneider“ am 13.8.2001 in der taz, Berlin.